Dieser Text soll beantworten, ob und wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, von Magento 1 auf Magento 2 zu migrieren. Dabei wird – auch wenn dies von technischen Argumenten nicht immer zu trennen ist – im Wesentlichen auf eine geschäftliche Perspektive abgestellt.
Magento 1 wurde im März 2008 erstmals veröffentlicht und fasste bald darauf vor allem auch in Deutschland nachhaltig Fuß. Es ist wohl das weltweit meistverbreitete reine Online-Shop System. Mittlerweile in Version 1.9.2.4 veröffentlicht, wurde die Weiterentwicklung der Version 1 nun zugunsten der Version 2 beendet.
Das Ende der Wartungs- und Supportphase (End of Life-Cycle) von Magento 1 ist für den 1. November 2018 angekündigt. Mit der Version 2.1.1 steht nach nun etwa einem ¾ Jahr auf dem Markt jedoch bereits jetzt ein stabiles Release von Magento 2 zur Verfügung.
Auf dem Hersteller-Event Magento Imagine im April 2016 wurde eine Zahl von ca. 800 produktiven Shops auf Magento 2 genannt. Eine Zahl, die sich gegenüber den Magento 1 Installationen als sehr gering einschätzen lässt.
Technologisch stellt Magento 2 kein einfaches Update von Version 1 dar. Vielmehr handelt es sich um eine komplette Weiter- und “Andersentwicklung” nach modernen Programmierstandards. Man kann also nicht einfach einen “Knopf drücken und migrieren”, sondern muss den kompletten Programmcode anpassen.
Mitunter bietet sich auch eine komplette Neuinstallation und -programmierung an, welche gewachsenen Ballast entfernt und zukunftsorientierte Weichen stellt.
Nichtsdestotrotz sind die zugrundeliegenden Konzepte grundsätzlich identisch geblieben. Somit sind technisches Know-How von Magento 1 zu Magento 2 ebenso übertragbar wie dessen Anwendererfahrung.
Soviel zu den Grundlagen. Es bleibt die Frage, ob und wenn ja, wann der richtige Zeitpunkt für Magento 2 gekommen ist.
Dazu möchte ich verschiedene Aspekte erörtern.
Umsteigen, muss ich überhaupt?
Fakt ist, dass das Unternehmen hinter Magento mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an der verkündeten Entscheidung festhalten wird, Magento 1 zugunsten von Magento 2 nicht mehr zu supporten. Die Weiterentwicklung in Form neuer Features ist zum jetzigen Zeitpunkt bereits eingestellt, lediglich sehr kritische Sicherheitsupdates werden noch eingepatcht.
Neue Funktionen werden demnach nur in Magento 2 bereitgestellt werden. Dies gilt für beide Editionen, die Magento Community Edition sowie die Magento Enterprise Edition.
Aus dem angekündigten Lebensende der “alten” Version ergibt sich, dass Magento Partner – also Agenturen und Extension Entwickler – ebenfalls keine neuen, umfangreichen Investitionen in das System von Magento 1 machen werden. Der Support von Agenturen hingegen wird noch einige Jahre erhalten bleiben. Allerdings gilt auch hier, dass mit zunehmender Verbreitung von Version 2 der Vorgänger wirtschaftlich uninteressanter für die Technologieanbieter und damit teurer für die Betreiber wird.
Andererseits hat der angestrebte Switch von Magento 1 auf Magento 2 meines Erachtens noch nicht konsequent begonnen. Stellen die erfolgreicheren Extension-Anbieter mittlerweile diverse Extensions auch für Magento 2 bereit, so sind die integrierenden Agenturen – getreu dem Henne-Ei-Prinzip – noch nicht ganz so weit. Momentan scheint es so, als befände sich das Ökosystem Magento in einer Art Schwebezustand – so richtig klar ist der Weg in die Zukunft nicht. Allerdings – das muss man stark betonen – stehen aktuell auch keine uneingeschränkten Wettbewerber bereit, die diese Lücke füllen können.
Tausende Händler sind sehr erfolgreich mit Magento 1 auf dem Markt vertreten und haben stark auf ihre Geschäftsprozesse angepasste und tief in individuelle Systemlandschaften integrierte Systeme geschaffen. Da Magento 2 aktuell keine neuen “Killerfeatures” bereitstellt, ist der Druck zu wechseln entsprechend gering bzw. nicht offensichtlich genug.
Vergleicht man die Anfänge von Magento in den Jahren 2008-2010 mit der aktuellen Situation von Magento 2, lässt sich eine interessante Parallele erkennen. Auch Magento 1 hatte zu Beginn Schwierigkeiten sich durchzusetzen. Kritikpunkte waren im Wesentlichen die als zu kompliziert verstandene Architektur und eine gefühlt langsame Ausführungsgeschwindigkeit. Über die Zeit aber hat die Akzeptanz des Systems stark zugenommen und ist heute insbesondere auf dem deutschen Markt stark vertreten.
Aktuell gehört Magento Inc., die Firma hinter der Software Magento, dem Finanzinvester Permira. Dadurch ist eine langfristige und solide Finanzierung gesichert.
Dies vorangestellt, die Pro-Argumente für Magento 2 in aller Kürze
- Agenturen – neben den Shop-Betreibern – werden nach einer Übergangszeit beginnen, ihr durch Magento 1 geschaffenes Know How und qualifiziertes Personal zu Magento 2 transferieren
- Extensions werden bereits jetzt nur noch für Magento 2 entwickelt.
- Die technologische Basis von Magento 2 ist sehr viel stärker an der Zukunft ausgerichtet, wird also tendenziell mehr innovative Entwickler anziehen
- Innovation entsteht somit bei Magento 2 und nicht mehr bei Magento 1
Die technischen Verbesserungen von Magento 2 gegenüber Magento 1 liegen vor allem in folgenden Bereichen – sind wie gesagt, also eher „unter der Haube“ zu spüren. Durch neue Feature-Releases wird der Abstand über die Zeit weiter zunehmen.
- Verbessertes Admin Interface
- Bessere Struktur für mehr Übersichtlichkeit und Geschwindigkeit in der Entwicklung von eigenen Anpassungen
- Updates lassen sich einfacher einspielen und werden so kostengünstiger
- ca. 20% bessere Performance
- Höhere Flexibilität für individuelle Anpassunge
- Test-Routinen und Einsatz von modernen Technologien sichern die Investition in der Zukunft
- Höhere Sicherheit vor Datendiebstahl und Hacks
- Nutzung von Jquery anstelle von Prototype und dadurch mehr Frontend-Performance und Stabilität
Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Druck zur Migration also nicht fundamental groß, aus den oben genannten Gründen aber grundsätzlich gegeben. Eine konsequente Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells unter Berücksichtigung der technologische Basis in Form des Shopsystems wird nur noch auf Magento 2 gewährleistet sein.
Lohnt sich ein Systemwechsel?
Grundsätzlich stellt sich somit die Frage, ob Magento überhaupt noch das richtige System für erfolgreichen E-Commerce ist, gleich in welcher Version.
Magento 2 ist ebenso wie Magento 1 ein sehr starkes und etabliertes Produkt. Nach der Einführungsphase wird Magento 2 über die kommenden Monate sicherlich diverse spannende Feature-Releases erleben.
In vielerlei Hinsicht ist Magento tief in die Abläufe des einsetzenden Unternehmens integriert. Viele Anpassungen lassen sich sicher einfacher von Version 1 nach Version 2 migrieren, als etwa in eine völlig neue Systemumgebung. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Know-How, welches sich die Administratoren im eigenen Unternehmen mit Magento aufgebaut haben. Setzt man auf eine andere Lösung, so müssen erhebliche Ressourcen für Umschulungen aufgewendet werden.
Weiterhin ist diese Fragestellung meines Erachtens eng damit verbunden, ob man Magento als Produkt selbst zutraut, aus der momentanen Phase wieder die treibende Kraft im Segment der mittleren bis großen Shopsystem zu spielen. Wie oben dargestellt, wird Magento auch in den kommenden Jahren ein sehr ernstzunehmender Player auf dem Markt der Shoplösungen sein. Dennoch kann man den Blick auf andere Systeme wagen und evaluieren, ob eine Umstellung im eigenen, konkreten Fall sinnvoller wäre.
Die Beantwortung dieser Frage knüpft sich dies daran, welche Alternativen derzeit und zukünftig zur Verfügung stehen. Im aktuellen Kontext möchte ich hier – da es in vielen Gesprächen immer direkt als mögliche Alternative angesprochen wird – auf Shopware in Version 5 eingehen.
Shopware in Version 5 ist mittlerweile eine ernstzunehmende Alternative für Magento geworden. Das Produkt selbst sind sehr gut auf die Wünsche von Händlern zugeschnitten und die Funktionen treffen recht genau momentane Anforderungen.
Technologisch findet sich Showare sich definitiv auf einem sehr positiven Weg und stellt mit dem Einsatz von PHP7 und Elasticsearch zukunftsweisende Weichen.
Allerdings wäre ein Wechsel der Umgebung hin zu einem anderen Hersteller für bestehende Magento-Shops gegenüber einer Migration auf Version 2 vor allem bei stark individualisiertem System mit höheren Kosten verbunden und sollte dementsprechend gut begründet werden.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Entscheidung?
Bleibt die Frage, wann der richtige Zeitpunkt für eine Weichenstellung bzw. den Beginn einer Umstellung ist.
Entscheidet man sich für Magento 2 als System, so ist der 1.11.2018 ein Datum, um das herum eine Migration abgeschlossen sein sollte, da der Support in Form von Sicherheitspatches endet. Sind hingegen umfangreiche Investitionen durch neue Features geplant, so ist die Umstellung ggf. vorzuziehen, damit die Innovationen direkt auf einer zukunftssicheren Plattform entstehen können. Weiterhin dürften die Agenturen und Dienstleister eben wegen des genannten Datums ab Mitte 2018 sehr stark ausgelastet sein. Zu lange mit dem Wechsel zu warten, könnte sich also negativ auf die Bereitstellungszeit und letztlich auch auf den Preis auswirken.
Verbleibt der Aspekt der momentanen Unsicherheit im Markt. Das eine, allgemein richtige Shopsystem für alle Use Cases hat es noch nie gegeben. Auch Magento 1 war in seiner Blütezeit nicht alternativlos – es gibt immer noch sehr erfolgreiche Shops auf Basis von XT Commerce 3. Die Entscheidung für eine bestimmte Technologie ist immer stark mit den jeweils individuellen Projektanforderungen verbunden. Eine Entscheidung für das richtige System und den passenden Zeitpunkt kann also nie allgemein getroffen werden. Wichtig ist es für Shopbetreiber und E-Commerce-Verantwortliche, gemeinsam mit einem erfahrenen Partner eine offene Diskussion zu führen und anhand des eigenen Geschäftsmodells und der vorhandenen Infrastruktur eine qualifizierte Entscheidung zu treffen.
Fazit
Meine Ausführungen sind zunächst eine erste Empfehlung. In Bezug auf eine Zeitplanung stellen sich aktuell diverse Weichen. Wir gehen davon aus, dass das Frühjahr 2017 ein guter Zeitpunkt für Entscheidungen ist. Dann sollte jeder Händler sich selbst die Frage beantworten können, ob man entweder zu Magento 2 migriert, auf längere Sicht bei Magento 1 bleibt und Innovationen selbst oder überhaupt nicht implementiert – oder einen Systemwechsel weg von Magento vollzieht.
— Sebastian Maurer